Der Ursprung des Stadtteils Hansenhaus
mit der Hansenhaus-Gemeinde vor 280 Jahren
von Hubertus Schmenner
Man
schreibt das Jahr 1733. Die Stadt Marburg mit ihren um die 5.000
Einwohnern befindet sich noch weitgehend in den von der Stadtmauer mit
ihren Stadttoren gesetzten Grenzen. Auf der gegenüberliegenden Lahnseite
erstreckt sich als Brückenvorstadt "Weidenhausen" an deren Ende sich
die Kapelle St. Jost mit dem nicht mehr existierenden Siechenhaus
befindet. Damit ist für die Marburger faktisch die Welt zu Ende. ln
östliche Richtung führt ein Hohlweg zu einer den Lahnbergen vorgelagerten
Hochterrasse mit den Flurbezeichnungen "uffm Kaff" und "Schweinsgrund".
Offensichtlich bestehen bis dahin die dort gelegenen Ländereien aus
Unland und sind noch nicht gerodet und urbar gemacht.
Im Jahr
1733, vor nunmehr 280 Jahren, erscheint im Kontributionsregister der
Stadt Marburg als erster Siedler "uffm Kaff" Johann Balthasar Schmenner,
der von der Gemeinde Marbach kommend, von der Stadt Marburg Rodland
erworben, dieses urbar gemacht und Wohnhaus und Scheune darauf erbaute.
Nach alten Protokollen erhält der Schmenner "uffm Kaff" in 1736 von der
Stadt weitere Ländereien in Leihe. Somit ist bereits nach drei Jahren
eine Vergrößerung des Anwesens dokumentiert. Was veranlasste 1733 Johann
Balthasar Schmenner dazu von der Marbach auf dieses unwirtliche
Hochplateau zu ziehen? War es der Wunsch nach Selbständigkeit, war es
die Hoffnung auf etwas Wohlstand oder einfach nur Pioniergeist Wir
wissen esnicht. Betrachtet man die Entwicklung bis zum heutigen
Stadtteil, so war die Entscheidung richtig.
Im Jahr 1745
erscheint in den städtischen Registern ein zweiter Ansiedler "aufm
Berg". Es ist Johann Wilhelm Schmenner. Auch er baut Wohnhaus und Scheune
und macht Ländereien im "Schweinsgrund" urbar. Während Johann Wilhelm
Schmenner auf der linken Seite seine Flächen im Schweinsgrund
bewirtschaftete, hatte Johann
Balthasar Schmenner die Grundstücke auf der
rechten Seite "uffm Kaff" in Bewirtschaftung. Diese Unterscheidung in
"links" und "rechts" sollte später eine Bedeutung bis zum
heutigenTag haben. Seide Anwesen müssen sich im Laufe der Jahre
wirtschaftlich entwickelt haben, wozu sicher nicht unerheblich eine
Schankerlaubnis beigetragen hat. Seide Familien hatten die
Genehmigung zum Ausschank von Getränken und zur Ausgabe einfacher
Speisen. Da die Häuser unmittelbar an dem Fahrweg nach Schröck und
Bauerbach lagen,bot sich an, dass die Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren
auf ihrem Weg nach Marburgund zurück dort Station machten und für eine
Stärkung von Mensch und Tier sorgten. Ebenfalls waren viele Leute von
den Dörfern zu Fuß nach Marburg unterwegs. Auch diese nutzen gerne die
Möglichkeit der Einkehr. Auch unter den Marburger Bürgern hatte sich
schnell herumgesprochen, dass man in den Höfen "uffm Kaff" und im
"Schweinsgrund" einkehren konnte und gut bewirtet wurde. Der Grundstein
für zwei bis heute erhaltene Ausflugslokale war gelegt.
Der
Name "Hansenhaus" taucht erstmals in einem Stadtprotokoll vom Juni 1762
auf. Wie es zu dem Namen "Hansenhaus" kam, darüber ranken sich Legenden.
Eine Version deutete darauf hin, dass eine Verbindung zum Städtebund
der "Hanse" bestanden haben soll. Die andere brachte den Scharfrichter
der nahen Richtstätte "Rabenstein", der den Namen "von Hansen" geführt
haben soll, ins Spiel. Dies alles ist jedoch nicht bewiesen.
Wahrscheinlich ist der Name "Hansenhaus" von Vornamen der beiden
Familien Schmenner abgeleitet, die beide auf den Rufnamen"Johann"
hörten. Da im alten Sprachgebrauch die Vornamen
Johann/Johannes oft auf"Hannes" abgekürzt wurden, ist es glaubhaft,
dass die Marburger Bürger bei ihren Wanderungen und Ausflügen sagten:
"Heute gehen wir zum "Hannes sein Haus" und dies im Laufe der Jahre zu
der Bezeichnung "Hansenhaus" geführt hat. ln späteren Jahren wird dann
zur Unterscheidung der beiden Hansenhäuser der Zusatz "rechts" und
"links" entstanden sein. Diese Unterscheidung ist bis zum heutigen Tag
für die beiden Gastronomiebetriebe aktuell. Nach einer alten Bürgerliste
von 1781 war der Hof- und Grundbesitz "auf dem Hansenhaus genannt
im "Schweinsgrund" (Hansenhaus links) auf einen Balthasar Mengel
übergegangen während das andere Anwesen (Hansenhaus rechts) im Besitzvon
Johannes Schmenner blieb.
Die Einwohnerstatistik von
1885 listet für die beiden Hansenhäuser insgesamt 11 Bewohner
auf. Bis zu diesem Zeitpunkt waren keine weiteren Gebäude hinzugekommen.
Dies sollte sich kurze Zeit später ändern.Zu Beginn der 1890erJahre
wurde die "Försterei Hansenhaus" erbaut um eine ortsnahe Bewirtschaftung
der umfangreichen Waldungen
der Lahnberge zu gewährleisten. Die Försterei bestand aus Wohnhaus mit
Wirtschaftsgebäuden und die dazu gehörigen Ländereien wurden von
derFamilie des Försters bewirtschaftet . Erst 1904 wurde mit dem
"Bismarckturm" wieder ein Gebäude auf dem Areal in Nähe der Hansenhäuser
errichtet. Die Stadt Marburg folgte dem Beispiel vieler Städte und
baute für seine Bürger und Studenten eine "Bismarcksäule" mit
Befeuerungsanlage. ln der Folgezeit zogen bei Sonnenwende und
nationalen Feiertagen die Marburger Bürger und Studenten in einem
Fackelzug hinauf auf den Berg zum traditionellen Bismarckfeuer. Ein zu
dieser Zeit sicher großes Event. Bis zur Erbauung eines weiteren Hauses
sollten wieder 20 Jahre vergehen. Im Jahr 1924 errichtete unterhalb des
Hansenhaus rechts Professor Wirth Roeper-Bosch eine große Villa die er
"Ehresburg" nannte und die seine Bibliothek und Sammlungen beherbergte.
Dort ging Professsor Wirth Roeper-Bosch seinen Forschungen zur
Urreligionsgeschichte und Symbolkunde nach. Abgesehen von An- und
Erweiterungsbauten der beiden Hansenhaus Gaststätten
fanden in den kommenden Jahren auf den großen Grundflächen, die sich
überwiegend in öffentlicher Hand befanden und landwirtschaftlich genutzt
wurden, keine baulichen Aktivitäten statt.
Erst
200 Jahre nach dem amtlichen Nachweis des ersten Ansiedlers Johann
Balthasar Schmenner "uffm Kaff" sollte sich dies grundlegend ändern. Im
November 1933 konnte das Richtfest für 42 Siedlerstellen der
"Stadtrandsiedlung" gefeiert werden und bereits im Mai 1934 konnten die
zumeist in Eigenleistung errichteten Häuser bezogen werden. Der
Grundstein für die erste geschlossene Wohnbebauung im heutigen Stadtteil
Hansenhaus war gelegt und aus dem Zusammenschluss zu einer
Siedlergemeinschaft die Grundlagefür die heutige Hansenhaus-Gemeinde
gegeben. Die Wirren des 2. Weltkriegs und der Nachkriegszeit hatte die
Stadtrandsiedlung unbeschadet überstanden. Zu Beginn der 1950er Jahre
begann eine rege Bautätigkeit auf beiden Seiten der Großseelheimer
Straße bis hinunter zum Glaskopf und rund um den
Bismarckturm. Jedes freie und bebaubare Grundstück wurde genutzt. Die
Expansion des Stadtteils Hansenhaus war nicht mehr aufzuhalten. Die
Darlegung der Entwicklung ab den 1950er Jahren sollte jedoch einem
gesonderten Artikel vorbehalten bleiben.
<Der
Verfasser Hubertus Schmenner ist ein direkter Nachkomme von Johann
Balthasar Schmenner, dem ersten Siedler von 1733. Er ist nicht wie seine
Vorfahren Gastwirt geworden. Hubertus Schmenner war als
Abteilungsleiter für Haushalt und Finanzen in der Zentralverwaltung
der Philipps-Universität tätig.
Ein weiterer direkter Nachkomme von Johann
Balthasar Schmenner, dem ersten Siedler von 1733, Wolfgang O. H. Schmenner war von 1974 bis 1992 der letzte Wirt der Schmenners auf dem Hansenhaus Rechts.>